Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal „akquiriert“ worden sind? Damit meine ich, dass Sie von jemandem angerufen wurden, den Sie noch nicht kannten, und dass Sie diesem jemand am Ende etwas abgekauft haben.
Daran kann man sich kaum erinnern, oder? Diese “alte” Art des Verkaufens wird oft als das Prinzip „Push“ beschrieben: Der Verkäufer geht aktiv auf den noch unbekannten Kunden zu und versucht, diesen zu einer Kaufentscheidung zu bringen.
Das gegenteilige Prinzip („Pull“) fühlt sich für den Käufer anders an.
Er informiert sich erst mal selbstständig auf verschiedenen Kanälen. Natürlich wird er Google befragen, er wird andere Leute interviewen, die sich mit dem Thema auskennen und denen er vertraut. Und irgendwann entschließt er sich dazu, selber einen favorisierten Anbieter zu kontaktieren.
Noch wahrscheinlicher ist, dass er irgendwann von einem der vielversprechendsten Anbieter kontaktiert wird, mit dem Unterschied, dass er sich bei diesem Kontakt allerdings nicht mehr „gepushed“ fühlt. Dann kommt’s drauf an, ob der Anbieter sein Vertrauen endgültig gewinnt, ob das Angebot wirklich passt, etc.
Pull
Seth Godin nannte die Variante „Pull“ schon 1999 „Permission Marketing“. Er beschrieb als einer der ersten den radikalen Paradigmenwechsel, der sich zwischen Käufern und Verkäufern abspielt.
Diese Veränderung ist sechzehn Jahre nach der Veröffentlichung dieses Buches noch viel deutlicher zu sehen.
"Permission marketing is the privilege (not the right) of delivering anticipated, personal and relevant messages to people who actually want to get them. It recognizes the new power of the best consumers to ignore marketing. It realizes that treating people with respect is the best way to earn their attention".
Seth's Blog: "Permission Marketing"
Push
Das Gegenteil nannte Seth Godin „Interruption Marketing“: Ein Werbeblock unterbricht den Film, den wir eigentlich sehen wollen.
Eine Anzeige unterbricht den Artikel, den wir eigentlich lesen wollen. Und das kann man auch auf den B2B-Verkauf übertragen: Ein Anruf unterbricht uns bei der Arbeit, die wir gerade tun. Oder sitzen Sie jemals am Schreibtisch und tun „nichts“?
Wir tun immer irgend etwas, und jeder Anruf unterbricht uns dabei.
Nun gibt es viele Anrufe, die wir trotzdem annehmen und durch die wir uns – womöglich sogar gerne – unterbrechen lassen. Anrufe von Menschen, die wir kennen, oder die wir gerne kennen lernen möchten.
Aber – Sie haben Recht – der andere Fall, also die Unterbrechung durch unbekannte Anrufer passiert in der Praxis so gut wie nie. Weil der Anruf eines absolut Fremden in der Regel gar nicht zu Ihnen durchdringt, oder?
„Worum geht’s denn?"
Also wenn Sie mich „akquirieren“ wollten, werden Sie auf diesem Weg große Schwierigkeiten haben. Es gibt fast immer jemanden, der vor mir ans Telefon geht und der Sie fragen wird, worum’s denn geht.
Vermutlich wird dieser Mitarbeiter Ihnen sagen, dass ich im Moment aus irgendeinem Grund nicht zu erreichen bin. Wenn Sie Glück haben, wird man mich fragen, ob ich diesen Anruf annehmen will.
Nachdem wir uns aber noch nicht kennen, werden Sie spätestens dann Pech haben. Obwohl es uns allen auf dieser Seite des Tisches so ähnlich geht, wir also nicht „akquiriert“ werden wollen, schicken viele Unternehmen Ihre Verkaufsmitarbeiter immer noch auf diese Weise in den Markt.
Sie nennen es Kaltakquise, wohl wissend, dass sich das “kalt” anfühlt. Für den Verkäufer wie auch den Käufer.
Der Marktplatz
Schauen wir uns die andere Variante an, die „Pull“ - Methode also. Ich vergleiche sie für mich gerne mit dem Stand auf einem Marktplatz.
Als Besucher dieses Marktes habe ich mich selber entschieden, überhaupt dort hin zu gehen. Ich schlendere an den verschiedenen Ständen vorbei, werfe einen kurzen Blick da und dort hinein.
Und bei manchen Ständen bleibe ich etwas länger stehen, schaue mir das Angebot erst mal auf Distanz an, und erst dann entscheide ich mich wieder ob
- ich mit dem Anbieter sprechen will
- ich mich über seine Produkte informieren lassen will
- ich ihm letztlich sogar etwas abkaufe
Kundenakquise verlangt Respekt
Als Standbetreiber sieht das so aus: Ich habe beschlossen, dass der Marktplatz für mich vielversprechend ist. Womöglich habe ich sogar dazu beigetragen, dass der Marktplatz insgesamt für Besucher attraktiv ist.
Vor allem aber habe ich meinen Stand gestaltet, und ich „verhalte“ mich dort entsprechend. Ich respektiere Leute, die nur mal schauen wollen.
Manche Standbetreiber gehen dann auch mal auf die Vorbeiziehenden zu und sprechen diese aktiv an. Das kann gut gehen, muss es aber nicht.
Wie auch immer, die Distanz zwischen uns bestimmt der Besucher, der potenzielle Käufer. Und der Respekt vor ihm gebietet es, seine Distanzzone zu berücksichtigen.
Andernfalls wird die wichtige Währung „Vertrauen“ kaum ins Spiel kommen...
Als Standbetreiber versuche ich also, Besucher anzuziehen („pull“), um mit ihnen ins Gespräch und vielleicht auch ins Geschäft zu kommen. Dieses Bild ist einigermaßen gut übertragbar auf die Kundenakquise im B2B-Geschäft.
Inbound oder Outbound Marketing
Die Begriffe sind unterschiedlich, oft ist aber das gleiche Grundprinzip gemeint.
Auch der Gegensatz zwischen „Outbound Marketing“ und „Inbound Marketing“ meint im Wesentlichen das Gleiche.
Mit dieser Website hier haben wir unseren Stand aufgebaut und (hoffentlich) für Sie attraktiv gestaltet.
Beim Schreiben dieses Blogposts halte ich meine Gedanken zum Verhältnis zwischen Anbietern und Nachfragern fest und stelle Ihnen diese als Leser „zur Verfügung“. Natürlich würde ich mich freuen, wenn diese Gedanken Resonanz finden – in diesem Sinne bin ich gespannt auf Ihren Kommentar. Oder auf Ihren Anruf.
Wenn dabei jemand anderes am Telefon sein wird, beziehen Sie sich bitte auf diesen Artikel hier. Ich lasse mich dann gerne von Ihnen „unterbrechen“...